23. Februar bis 14. April 2024 | Momente | Udo Klenner
Wir freuen uns, Malerei des Berliner Malers Udo Klenner zeigen zu dürfen. In seinen Arbeiten fügen sich geometrische Formen, ornamentale Überlappungen und serielle Fragmente oder Fraktale zu lebhaften Flächen mit teils räumlicher Wirkung zusammen. Mit dem Nonverbalen seiner Bilder zielt Klenner auf die Imagination, auf sich selbst, auf den Reichtum der Vorstellungskraft.
Rede zur Vernissage am 23.2.2024 in der Rundkirche Tempelhof von Ulrike Goeschen
Klenner ist 1957 in Hoyerswerda in Sachsen geboren, 1972 zieht er mit den Eltern nach Berlin. 1974-1976 absolviert er eine Lehre der Dekorationsmalerei beim Fernsehen der DDR. Die freie Malerei wird ihm in jenen Jahren bereits wichtig. 1980 nimmt er das Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden im Fach Kostüm- und Bühnenbild auf. Prägend wird für ihn der Unterricht bei Prof. Günther Hornig, geb. 1937, einem der bedeutendsten abstrakten Maler in der DDR, der viele prominent gewordene Schüler hatte und bis 2002 eine Professur in Dresden innehatte. Klenner schließt das Studium 1985 mit dem Diplom ab und wird als Regisseur, Kostüm- und Bühnenbildner tätig. Die Malerei betreibt er weiter, in den Jahren nach 1989, die für ihn einen Aufbruch bedeuten, wird sie zu seiner hauptsächlichen Beschäftigung. 1990 unterrichtet er an der Kunsthochschule in Berlin Weißensee. Seither stellt er viel aus, nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland. Er lebt und arbeitet in Berlin Neukölln.
Atmosphärisches ist ihm wichtig und deshalb zeigt er seine Bilder gerne in alten Gemäuern, die Geschichte und Geist in sich tragen. Dies sind insbesondere Sakralräume und so gab es bereits Ausstellungen seiner Malerei im Dominikanerkloster Prenzlau, in der Annenkapelle in Görlitz, im Museum Kloster Zinna und eben jetzt hier in der Tempelhofer Rundkirche.
Wenn Sie sich schon umgeschaut haben, wird ihnen aufgefallen sein, dass alle Bilder abstrakt sind und keine Titel tragen. Sie sind eine Kombination von Strukturen, Ornamenten, Mustern und gestischer Malerei. Sie sind geprägt von Rhythmus, Struktur, Leere und Fülle. Man kann sie nicht in Begriffen sprachlich erfassen und auch nicht so einfach in sein Bildgedächtnis aufnehmen. Es geht vielmehr um eine Lust am Schauen, um eine Kontemplation vor dem einzelnen Bild in seiner harmonischen, still leuchtenden Farbigkeit – um ein Innehalten in einer erfüllten Gegenwart. Klenner spricht in diesem Sinn von „Kairos“, einen Begriff, den er auch auf seine eigene Tätigkeit bezieht, wenn ihm bewusst wird, dass ein Bild fertig ist. Unsere Ausstellung hier heißt dementsprechend „Momente“.
Freie Improvisation ist die Arbeitsweise von Klenner. Den Bildträger legt er flach in die Waagerechte und bearbeitet ihn von allen Seiten, ein Vorgehen, das er sich bereits im Unterricht bei Günther Hornig angeeignet hatte. Erst zur Prüfung der Wirkung von Farben und Licht stellt er das Bild auf die Staffelei. Auf Leinwand, Pappe oder Papier trägt er Acrylfarbe, aber auch Buntstifte, Kugelschreiber, Tuschen und Kreiden auf. Zudem verwendet er selbstgefertigte Schablonen als Mittel für Chiffren, Strukturen und Vernetzungen nach einem seriellen Prinzip.
Ordnung begegnet Unordnung, es finden sich Reihungen und Überlagerungen, die nach allen Seiten hin offen und abstrakt sind. Bildräume werden in Schichten übereinander gelegt und ich meine, dass dieses Vorgehen, dieses bildliche Denken in räumlichen Staffelungen, auch durch Klenners Erfahrungen als Bühnenbildner ermöglicht wird. Im Arbeitsprozess werden zudem die Farben reduziert und einzelne Partien wieder ausgewischt und übermalt. Dieses Vorgehen verweist auf die uralte Technik des Palimpsest, der abgeschabten und wieder beschriebenen Manuskriptseite. „Palimpsestieren“ ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine Metapher für geistige und kreative Prozesse.
So verglich der englische Essayist Thomas De Quincey (1845) den menschlichen Geist und besonders das Gedächtnis mit einem Palimpsest: „Was Anderes als ein natürliches und mächtiges Palimpsest ist der menschliche Geist? Solch ein Palimpsest ist mein Geist; solch ein Palimpsest, O Leser! ist der Deinige. Immerwährende Schichten von Ideen, Bildern, Gefühlen sind auf deinen Geist gefallen so sanft wie das Licht. Jede Abfolge [von Gedanken] verbrannte scheinbar alles was vorher war. Und doch wurde in Wirklichkeit keine Einzige ausgelöscht.“
Sigmund Freud entwickelte achtzig Jahre später in seiner Notiz über den Wunderblock (1925) ein verwandtes Modell vom menschlichen Gedächtnis: In dem Aufsatz wählte Freud eine wachsüberzogene Schreibtafel, die unter dem Namen Wunderblock in den Handel gekommen war, als eine Metapher für Vorgänge der Wahrnehmung und des Bewusstseins. Die druckempfindliche Wachsplatte ermöglicht das immer neue Beschreiben und Löschen von Zeichen, wobei Spuren aller früheren Einschreibungen als unsichtbare Vertiefungen erhalten bleiben. Hierin sieht Freud die zwei wesentlichen Bedingungen erfüllt, die für ihn das menschliche Gedächtnis leisten muss: „Unbegrenzte Aufnahmefähigkeit und Erhaltung von Dauerspuren“.
In diesem Sinn ist die Arbeit von Klenner nicht voraussetzungslos. Seine Kenntnis der Kunsttraditionen, wie zum Beispiel antike Freskenmalerei, mittelalterliche Kunst oder die islamische und indische Kunst sowie serieller Computergrafik gehen ein in die oft wochenlange Arbeit an dem einzelnen Bild. Die einzelnen Elemente und Bildschichten weisen auf Veränderung hin und darauf, dass alles im Fluss ist. Der Künstlers strebt nach Harmonie und Zusammenklang. Als freie Assoziation und spielerischen Umgang mit der Wahrnehmung in einem lebendigen, zufälligen Prozess – so bezeichnet er sein malerisches Vorgehen. Visuelle Erfahrungen und das Vorstellungsvermögen des Betrachters sollen gleichermaßen angeregt werden. Klenner sagt: „Der Inhalt ist zeitlos und die Zeit bedeutungslos.“
Damit aber sind wesentliche Aspekte der ästhetischen Erfahrung überhaupt angesprochen. Sie stellt ein besonderes Wahrnehmungsvermögen dar, indem es nicht darum geht, einen Gegenstand zu analysieren, sondern ihn sich in seiner anschaulichen Dichte zu vergegenwärtigen. Es geht um ein Verweilen bei der Betrachtung des Schönen in der Gegenwart seiner Erscheinung.
Darin liegt aber eine besondere Art der Freiheit, als Freiheit von den Zwängen der begrifflichen Erkenntnis und die Entdeckung einer großartigen Unterbestimmtheit des Wirklichen. Um es mit den Worten des Lyrikers Paul Valéry zu sagen: es ist die Gabe des Künstlers, in der Ordnung der Dinge ein Chaos – eine inkommensurable Fülle von Erscheinungen – zu sehen, von Erscheinungen im Sinn einer unfassbar bleibenden Realität.
Sich auf ein Kunstwerk, das ästhetische Objekt per definitionem, zu konzentrieren, so wie es unseren Sinnen hier und jetzt erscheint, ist stets zugleich eine Aufmerksamkeit für die Situation der Wahrnehmung und damit eine Rückbesinnung auf die unmittelbare Gegenwart. Und eine Aufmerksamkeit für uns selbst, für den Augenblick hier und jetzt. Damit wird man auch der Gegenwart des eigenen Daseins wahrnehmend inne, das ästhetische Bewusstsein ist damit ein Zug des menschlichen Selbstbewusstseins.
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen erfüllte Momente mit den Bildern von Udo Klenner.
Die Ausführungen über das Palimspest habe ich dem aktuellen Wikipedia-Eintrag entnommen, die über ästhetische Wahrnehmung folgen Martin Seel: Ästhetik des Erscheinens. München, Wien 2000, S. 16 ff.