Laudatio für Britta Lehmann von Kathrin Schrader zur Eröffnung ihrer Ausstellung „Stundenbilder“ in der Kirche auf dem Tempelhofer Feld am 5. Mai 2023
Ich begrüße Sie sehr herzlich und bedanke mich bei Britta Lehmann für das Vertrauen, einige einleitende Worte zu ihrer Ausstellung STUNDENBILDER sagen zu dürfen.
Der Titel STUNDENBILDER meint die Zeit, die Britta Lehmann ihrem Kalender abtrotzt, um ins Atelier gehen zu können. Manchmal ist es wirklich nur eine Stunde, die ihr bleibt, an einem Vor- oder Nachmittag. Aber eine Stunde – wie kostbar!
Sie sind sicher schon umhergelaufen und haben sich das ein oder andere Bild angeschaut. Vielleicht ist es Ihnen so ergangen, wie es mir häufig geht, wenn ich einen Heiligen Ort der Kunst betrete, eine Ausstellung:
Sie fühlen sich im ersten Moment verloren mit den Eindrücken und gar nicht bereit für eine Kunstbetrachtung. Sie kommen von draußen, aus dem Lärm. Vielleicht sind Sie müde. Vielleicht hatten Sie eine anstrengende Woche.
Und dann laufen Sie unruhig zwischen den Wänden hin und her und spüren gar nichts. Und dann, plötzlich nimmt ein Bild Sie gefangen. Kennen Sie das?
Zuerst merken Sie das gar nicht, Sie laufen weiter, aber dann halten Sie inne und fragen: Was war das? Sie gehen zurück. Sie schauen genauer hin. Sie gehen weiter, spüren aber, dass Sie immer noch mit diesem einen Bild beschäftigt sind. Sie gehen dorthin zurück. Sie schauen. Sie fragen sich, was das ist. Aber Sie finden keine Antwort. Das Geheimnis der Kunst.
Und dieses Bild ist dann Ihr Türöffner. Jetzt sind Sie bereit. Sie sind angekommen.
Als ich vor zwei Tagen hier war, um mir die fertig gehängte Ausstellung von Britta Lehmann anzusehen, passierte es, dass mich ein Bild besonders anrührte. Ich kannte ja schon viele Arbeiten der Künstlerin, wusste also so ungefähr, was mich erwartet. Und dieses Bild irritierte mich nicht nur, weil es sich stilistisch und inhaltlich ein bisschen von dem abhob, was ich von Britta Lehmann kannte, es rührte mich wirklich an. Ich fand es besonders gut. Ich kam immer wieder zu diesem Bild zurück.
Ich sage Ihnen jetzt nicht, von welchem Bild ich spreche, weil ich Sie nicht voreingenommen machen möchte. Sie sollen IHR EIGENES Bild entdecken, IHRE Irritation, IHREN Türöffner in dieser Ausstellung.
Ich teilte Britta Lehmann meine Empfindungen über das Bild mit und dann erzählte sie mir dessen Geschichte. Sie sagte, sie habe es noch nie ausgestellt. Es stehe seit einiger Zeit bei ihr im Atelier. Es sei in einer Situation entstanden, in der sie völlig auf sich zurück geworfen war und das Haus nicht verlassen konnte, entgegen ihrer Gewohnheit, raus zu gehen und Menschen und Landschaften zu skizzieren.
Jetzt wissen Sie schon, dass es kein Porträt und keine Landschaft sein kann, über die ich spreche. Britta Lehmann sagte, sie fände dieses Bild auch gut, aber ein befreundeter Künstler hätte sich einmal kritisch dazu geäußert. Das habe sie verunsichert.
Es wird ja viel über Kunst gesprochen, viel zu viel eigentlich. Ich zitiere Ihnen einmal eine Kritik unter Kolleg:innen:
„Ich würde eigentlich gern sagen, dass Sie kein wirklich guter Maler sind .. Aber da ist etwas, das mich daran hindert, Ihnen das zu sagen. Wenn Sie das Schwarz verwenden, bleibt es genau da auf der Leinwand. Mein ganzes Leben lang habe ich immer gesagt, dass man Schwarz nicht mehr benutzen kann, ohne ein Loch in die Leinwand zu machen. Es ist keine Farbe. Nun, Sie sprechen die Sprache der Farben. Und dennoch nehmen Sie Schwarz und schaffen es, dass es an Ort und Stelle bleibt. Obwohl mir das, was Sie machen, überhaupt nicht gefällt, und ich dazu neige, Ihnen zu sagen, dass Sie ein schlechter Maler sind, schätze ich, Sie sind wohl doch ein Maler.“
Das sagte Auguste Renoir zu Henri Matisse.
Ich habe ganz bewusst dieses Zitat über Matisse herausgesucht, weil Britta Lehmann eine große Matisse-Verehrerin ist. Auch sie spricht die Sprache der Farben. Auch sie setzt in ihrer gestischen, abstrakten Malerei Farbflächen und Linien so, dass keine Räume entstehen, erst Recht kein „Loch in der Leinwand“.
Am Beginn ihres bildkünstlerischen Schaffens steht die Beschäftigung mit der Figur. Britta Lehmann hat als junge Frau Theater gespielt. Daraus resultierend studierte sie dann Theaterwissenschaften und Germanistik.
Malen und Zeichnen war quasi ihr Plan B. Sie ging ihn mit dem Besuch eines Aktzeichen-Kurses in der Berlinischen Galerie bei der bulgarischen Künstlerin Vessela Grigorieva an. Wegbegleitend und inspirierend erwiesen sich u.a. die Künstler:innen Thomas Bauschke, Bärbel Rothhaar und Beate Jorek.
Anfangs sagte ich, dass der Titel „Stundenbilder“ auf die wenige, kostbare Zeit im Atelier verweist. Aber er beinhaltet auch den Schaffensprozess an sich, die Stunden der Leere, der Suche, der Versuche, auch derer, die scheitern, auf dem Weg zu einem Werk. Die Zeit, die sie vor dem Bild verbringt und schaut, wieder daran arbeitet, manchmal erst nach Jahren. Es braucht Zeit, zu reifen. Sie spürt, dass noch etwas fehlt. Und dann, plötzlich, weiß sie, dass sie die Arbeit abschließen kann, dass ein Bild fertig ist und das Atelier verlassen darf.
Und da ist noch etwas, das ihr die Zeit im Atelier begrenzt. Britta Lehmann vernetzt sich gern mit anderen. Sie schiebt gern Projekte an, die dann organisiert werden wollen. Auch das kostet Zeit und Hingabe. Jemand könnte sagen: Lass das doch! Warum verbringst du deine Zeit mit Arbeit, die dich künstlerisch nicht voranbringt?
Dann würde sie antworten, dass das keine 1:1 Rechnung ist mit der Zeit. Das letzte Projekt, dem sie sich widmete, beinhaltete einen Workshop und eine Ausstellung zum Tag der Druckkunst am 15. März. Daraus resultiert nun ein weiterer Workshop im Umfeld erfolgreicher Kolleg:innen. Das atelierferne Projekt hat sich zur Quelle des künstlerischen Austauschs entwickelt, woraus sich möglicherweise gemeinsame Ausstellungsprojekte, zumindest aber Inspirationen ergeben werden. Das alles ist wichtig. Keine Künstler:in sitzt im Elfenbeinturm fernab der Welt.
Britta Lehmann arbeitet gern genreübergreifend. Sie hat ein Kinderbuch illustriert. Sie war in ein soziokulturelles Projekt involviert, in dem die Geschichte eines alten Hauses in Havelberg untersucht wurde. Es ging um die Fragen, wer dort gelebt und gearbeitet hat, wie das Leben in der DDR war. Die Forscher:innen stießen bei ihren Recherchen auf alte Kaderakten aus der DDR, mit den Fotos von Arbeiter:innen. Diese inspirierten Lehmann zu einer Reihe Frauenporträts. Eines davon, „die Verträumte“ können sie im Vorraum draußen sehen.
Ihre Akte und Porträts sind keine anatomisch korrekten und realistischen Zeichnungen. Es geht ihr nicht darum, die Personen wiedererkennbar ins Blatt zu bringen. Sie löst sich im Prozess der Arbeit bewusst vom Model. Ihr geht es um die Stimmung und Flüchtigkeit des Moments, um Bewegung, um Eindrücke.
In Havelberg betreibt Britta Lehmann mit dem Künstler Heinz Sporkhorst die Galerie Stadtinsel. Sie kuratiert dort Ausstellungen und organisiert Veranstaltungen. Auch das Projekt zum Tag der Druckkunst war dort angesiedelt.
Sehr viele freie Künstler:innen kennen den Drahtseilakt des Lebens zwischen Projekten mit Kolleg:innen, die häufig selbst initiiert und dann organisiert werden müssen und dem Ringen um die Stunden im Atelier.
Diesen Drahtseilakt sehe ich in den Gemälden und Zeichnungen von Britta Lehmann gespiegelt, diese Unruhe, die Vitalität, immer wieder neu zu beginnen. Bei ihr ist es auch ein Seiltanz zwischen Figur und Abstraktion.
Sie wird ihn fortsetzen, sicherer und wagehalsiger werden. Dafür wünsche ich ihr Mut und Leichtigkeit und ein verlässliches Netz aus guten Freund:innen, in das sie sich in Anfällen von Erschöpfung fallen lassen kann.